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Julia Fiedorczuk und Julia Kissina

13 Oct 2017 - 20:00

Lesung und Gespräch mit Julia Fiedorczuk (Polen) und Julia Kissina (Ukraine/Deutschland)

Moderation: Esther Kinsky

Geöffnet ab 20:00 Uhr, Beginn 20:30 Uhr

Eintritt: 5 EUR

 

…wie ein schmetterling im Dom der warmen Hand
(diese Frauen keimen in der Zeit der Schmelze)
die warme Hand zur Faust geballt)…
Julia Fiedorczuk

“Was mich nicht umbringt macht mich stärker.” zitiert Julia Kissina in einem Interview Friedrich Nietzsche aus der “Götzendämmerung” und fügt hinzu – ihr 2016 erschienener Roman “Elephantinas Moskauer Jahre” sei ein nietzscheanischer Frauenroman, sie sei überrascht gewesen, daß er als feministischer Roman wahrgenommen wurde. Sie verwahrt sich dagegen, dass ihr Buch als Frauenliteratur gelesen wird und präzisiert: Ein weibliches “Ich” muß auch als ein neutrales “Ich” angesehen werden. Es solle nicht mehr als frauenspezifische Kunst oder Literatur wahrgenommen werden: “Daran müssen wir alle hart arbeiten. … Das ist es, was ich darstellen wollte: Nietzsche als Frau”.

Julia Fiedorczuk widmet sich in ihrem Essay “Stranger in the Land of the poet” einer Genealogie polnischer Schrifstellerinnen und Dichterinnen, die sich praktisch in einem parallelen Raum neben dem etablierten Literaturbetrieb befanden und befinden; in einer erstaunlichen Isolation von dessen auratischer selbstzugewiesenen Bedeutungshoheit: männergeprägt und latent autokratisch. “Genius, national bard, witness, revolutionary: all these are traditionally masculine roles. In this context the products of female creativity are viewed, a priori, as trivial. … But only a very few will gain recognition as serious artists and thinkers, as intellectuals and poets whose work makes a real impact, an intervention into the spiritual (political, intellectual) shape of the world.”

Feste und wieder fester werdende Geschlechterrollen und deren Neuzuweisungen als Verhaltensnorm, schüren Unbehagen und Spott, der im Werk beider Autorinnen subtil oder überzeichnet sichtbar wird. Sie seismografieren eine patriarchalische Restauration, zwischen Orthodoxer Kirche und pussyriot, zwischen Katholischer Kirche und der starken Protestbewegung gegen den Versuch 2016 das Abtreibungsverbot in Polen wiedereinzuführen. Die Großmütter lebten in einer freieren Welt, als die Enkelinnen - eine schockierende Diagnose.

Esther Kinsky führt die Texte der beiden Autorinnen an diesem (vorvorletzten) Abend im Rahmen der Reihe Auslandsprachen zueinander. Die Literatur von Julia Kissina und Julia Fiedorczuk, die weder feministische Theorie noch Politik ist, –sondern Kunst.

 

Julia Kissina wurde 1966 in Kiew, Ukraine, geboren. Sie war Vertreterin der Moskauer Konzeptualisten und der sogenannten „anderen Prosa“ und publizierte bis 1990 vorwiegend im Samisdat. 1998 schloss sie ein Studium an der Akademie der bildenden Künste in München ab. Sie wurde durch ihr Konzept der performativen Fotografie bekannt. Dabei geht es ihr um das Aufdecken des Unsichtbaren im scheinbar Vertrauten und den dadurch entstehenden Moment des Absurden, Grotesken oder Paradoxen. Ihre literarischen Werke werden in Russland und Deutschland in Zeitschriften und Anthologien veröffentlicht. „Vergiss Tarantino“, eine Sammlung ihrer Geschichte in der Tradition des Absurden, wurde auf Deutsch erstmals 2005 im Aufbau Verlag veröffentlicht. Im selben Jahr erschien auch das Kinderbuch „Milin und der Zauberstift“. Seit 2006 führte sie eine Anzahl an Performances unter dem Namen ,,Klub der toten Künstler” durch. Diese bestehen in spiritistischen Sitzungen, zu denen bekannte Künstler (Marcel Duchamp, Ilya Repin u.a.) geladen werden und zu ihrer Meinung nach dem Sinn des Lebens und der Kunst gefragt werden. In ihrem autobiographischen Roman “Frühling auf dem Mond” beschreibt Kissina ihre sowietische Kindheit vor dem Hintergrund der zerfallenden Stadt Kiew. Auf Deutsch wurde er 2013 im Suhrkamp Verlag veröffentlicht. Im Juni 2016 erschien dort ihr neuer Roman “Elephantinas Moskauer Jahre”. Anfang der 90er Jahre lebte Kissina eine Weile in Berlin, um sich dann 2003 dauerhaft in der Stadt niederzulassen.

 

Julia Fiedorczuk, geb 1975, ist Lyrikerin, Übersetzerin und Dozentin für amerikanische Literatur an der Universität Warschau. Ihr erster Gedichtband wurde im Jahre 2002 mit dem Preis für das beste Debüt ausgezeichnet, 2005 erhielt sie den Hubert Burda-Preis und 2012 den Preis Warszawska Premiera Literacka. Übersetzungen ihrer Werke liegen mittlerweile in zehn Sprachen vor. Sie veröffentlichte bis jetzt 5 Gedichtbände, zwei Sammlungen von Kurzgeschichten und zwei Romane. Sie ist Vordenkerin des “Ökokritizismus” in Polen. Sie ist außerdem Mitglied der Assoziation “ASLE” – Vereinigung für Forschung von Sprachen und Umwelt. Zusammen mit dem mexikanischen Autor Gerardo Beltran veröffentlichte sie ein Trilinguales Essay zum Thema Poesie und Ökologie “Ecopoetics”. Momentan arbeitet sie an ihrem neune Gedichtband unter dem Titel “Psalm”. In Berlin genießt sie eine hohe Popularität u.a. innerhalb der polnischsprachigen literarischen Szene. Veröffentlichungen: Listopad nad Narwia (Gedichte) 2000, Bio (Gedichte) 2004, Tlen (Gedichte) 2006, Planeta rzeczy zagubionych (Gedichte) 2008, Poranek Marii und andere Kurzgeschichten (2010), Biala Ofelia (Roman) 2011, tuz-tuz (Gedichte) 2012.

Moderation:

Esther Kinsky ist Autorin von Lyrik, Prosa und Kinderbüchern und auch literarische Übersetzerin von Prosa und Lyrik aus verschiedenen Sprachen. Ihre letzten Veröffentlichungen sind: Karadag Oktober 13. Aufzeichnungen aus der kalten Krim (mit Martin Chalmers), Matthes und Seitz Berlin 2015, der Gedichtband Am kalten hang. Viagg’ invernal.  Matthes und Seitz Berlin 2016, sowie die Übersetzung der autobiographischen Fragmente des englischen „peasant poet“ des 19. Jahrhunderts, John Clare : Reise aus Essex. Matthes und Seitz Berlin 2017.  Sie lebt in Berlin und im Friaul.

Im Frühjahr 2018 erscheint Hain. Geländeroman

 

Die Veranstaltung wird Englisch-Deutsch simultan übersetzt.