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Sonja vom Brocke | Gestaltwandel, Überschreitung
Vers + Welt #6 | Salon für Gedichte und Sachfragen
Lesung und Gespräch
Sonja vom Brocke
- aus "Venice singt" und "Düngerkind" -
www.lyrikline.org
Vortrag und gemeinsame Diskussion
Martin Müller (HU Berlin):
Gestaltwandel, Überschreitung
www.matters-of-activity.hu-berlin.de
Geöffnet ab 19:00 Uhr, Beginn 19:30 Uhr.
Eintritt: 5 € (Abendkasse) | @facebook
Sonja vom Brockes Gedichte prägt ein verblüffend stimmiges Miteinander vermeintlich gegenläufiger Bewegungen: Das freie Spiel weit ausgreifender Imagination findet, benachbart auf oft engstem Raum, seine Nachbilder und Vorskizzen in konkret-anschaulichen Darstellungen und Schilderungen.
Schon stilistisch zeichnet dieses Sprechen nie identisch die gedanklich-motivische Linie nach, die in den Texten aufscheint – aber stets bleibt es ganz nah bei ihr und überschreitet sie Schritt um Schritt von einer Seite auf die andere: artifiziell-verdichtete Wendungen greifen mit nüchternen, lapidar-beiläufigen Figuren ineinander wie die Zähne eines Reißverschlusses.
Diese sich selbst reproduzierende innere Wandelbarkeit verbindet vom Brockes Schreiben mit einem seiner tragenden Sujets und Motivspeicher: den Lebensformen in unserer Natur-Kultur, dem verwickelten In- und Auseinander von pflanzlich-tierisch-menschlichem Leben und den Apparaten und Gespenstern, die sich ihm nicht erst heute hinzugesellt haben.
Die Organismen mit ihren Organen, die Übergänge, Symbiosen und Hybride zwischen ihnen sind den Gedichten ein Gegenüber, von dem her sie ihre sprachliche Gestalt entfalten und in diesem Spiegel stets auch von der Schöpfungsmacht textueller Setzungen und literarischer Organisation handeln.
Naturgedicht und Science Fiction, in vitro und in vivo, Monsterkabinett und Idyll tauschen dabei manches mal die Plätze, "das Fleisch schwappt in eine Unverbundenheit", und in dem frisch erschienenen Band „Düngerkind“ (Verlag Peter Engstler, 2018) betreten wir leibhaftig-virtuelle Neuanordnungen naturhafter Umgebung: ein überraschend anderes nature writing zwischen sanfter Anverwandlung und Groteske.
*
Die prometheischen Wissenschaften unserer Tage stehen im Zeichen einer radikalen Gestaltbarkeit von Leben und Natur. Die Diskurse der synthetischen Biologie, der Nanotechnologie, der KI und des Climate-Engineering sind gekennzeichnet von Rhetoriken der Machbarkeit und Gesten der Überschreitung, die einer Kultur der Transhumanismus zuarbeiten.
Ihre Welten-erzeugenden Verfahren treiben den Begriff des Designs in die kleinsten Dimensionen der (un-)belebten Materie ebenso wie in die umfassendsten planetarischen Stoffkreisläufe. Martin Müllers Vortrag skizziert das Panorama dieser 'technozänen Situation‘ und geht dabei von der Annahme aus, dass die Frage nach der "Macht über das Leben“ und ihrer Analyse brisanter und aktueller denn je ist: Die gegenwärtige synthetische Biologie entwickelt neue hybride Lebensformen für industrielle Anwendungen und greift mittels CRISPR gezielt in die menschliche Keimbahn ein – Biopolitik und Anwendungswissenschaft werden ununterscheidbar.
Sonja vom Brocke, *1980 in Hagen, lebt nach einem Studium der Philosophie, Germanistik und Anglistik als Autorin in Berlin. Sie publizierte in Zeitschriften und Anthologien wie Sprache im technischen Zeitalter, Park, Randnummer und "All dies hier, Majestät, ist deins. Lyrik im Anthropozän“.
2010 veröffentlichte sie „Ohne Tiere“ (Verlag H+K, Berlin), 2015 folgte der Band „Venice singt“ (kookbooks). Ende 2018 ist im Verlag Peter Engstler ihr neuestes Buch „Düngerkind“ erschienen.
Martin Müller, Medien- und Kulturwissenschaftler, forscht zur Wissensgeschichte der Zoëpolitik und arbeitet an einer Theorie der synthetischen Biologie. Er ist als wissenschaftlicher Mitarbeiter am neuen Exzellenzcluster »Matters of Activity, Image Space Material« und am Institut für Kulturwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin tätig. Forschungsaufenthalte führten ihn an die Université Paris 1 Panthéon-Sorbonne, an die Columbia University nach New York und an die Universidad de Buenos Aires.
Vers + Welt | Salon für Gedichte und Sachfragen
präsentiert Lesungen zeitgenössischer Lyrik zusammen mit Vorträgen über nichtliterarische Themen, die von den Dichtern ausgewählt wurden: Expertinnen aus Wissenschaft und Praxis sprechen zu Sachfragen, die in Bezug zu den Gedichten stehen.
Der Salon ist ein Forum für das Teilen von Wissen, und im Austausch zwischen den Auftretenden und in der offenen Diskussion mit dem Publikum gibt es Gelegenheit nachzufragen, gemeinsam weiterzudenken und zu spekulieren. Dabei wird kein näheres Vorwissen vorausgesetzt und kein bestimmtes Fazit oder Ergebnis angestrebt – die aufregendsten Gedanken verfertigen sich schließlich oft, mit Kleist gesagt, beim Reden.
Ausgangspunkt von Vers + Welt ist das Interesse der Autoren an bestimmten Sachgebieten und Gegenständen des Denkens, die außerhalb der Lyrik liegen. Dieses Interesse kann als Inspiration am Anfang eines einzelnen Texts stehen, ein übergreifendes Thema der Auseinandersetzung und des Schreibens sein, oder es ergibt sich im Schreib- und Rechercheprozess durch Zufallsfunde.
Jede Veranstaltung beginnt mit der Lesung der Dichterinnen, gerahmt von einem kompakten Gespräch über die gelesenen Texte. Nach einer Pause hören wir den Vortrag, auf den die gemeinsame offene Diskussion folgt. Später gibt es Musik und Getränke an der Bar.
Vers + Welt ist ein Format innerhalb der Reihe Lyrik im ausland, deren Veranstalter Tobias Herold die Abende moderiert.
Mit freundlicher Unterstützung der Berliner Sentsverwaltung für Kultur und Europa und durch die Medienpartner von "Vers + Welt": taz - die tagszeitung & fixpoetry.